Regional…Treffen Frankfurt: STRASSENBLICK – EX-OBDACHLOSE ERZÄHLEN IHRE GESCHICHTE

25. Mai 2023
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Am 25.05.2023 fand in diesem Jahr das 2. Finance & Friends Regionaltreffen in Frankfurt statt, das diesmal unter einem ganz anderen Motto stand. Abseits der schillernden Bürotürme und mondänen Einkaufsmöglichkeiten kamen wir mit einer Lebensrealität in Berührung, für die wir im Regelfall nur einen Seitenblick erübrigen.

Thomas, 63, führte uns in 1,5 Stunden durch sein Leben als Obdachloser und erzählte uns auf beeindruckende Weise, wie er sich nach 20 Jahren auf der Straße wieder zurück ins „normale“ Leben gekämpft hat. Aufgewachsen in einem von Alkoholismus und Gewalt geprägten Elternhaus hat Thomas zwar noch seine Berufsausbildung abschließen können, ist aber bereits mit 18 Jahren zu Hause rausgeflogen und war fortan auf sich alleine gestellt. Zunächst versuchte er sich mit zwielichtigen Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten, ist dann aber zunehmend in die Beschaffungskriminalität sowie den Alkoholismus abgerutscht. Die Sucht hat sein komplettes Leben bestimmt: Aufgrund von Scham und Nichteingeständnis konnte er sich nicht länger in das soziale Leben einfügen. Er erzählte, dass die staatlichen Unterstützungsmechanismen durchaus sehr gut seien und niemand auf der Straße leben müsste, allerdings konnte er sich nicht an die Regeln halten, die eine temporäre Unterbringung in einem Männerwohnheim sowie eine Wiedereingliederung mit sich gebracht hätten. In dieser Zeit hat Thomas – abgeschnitten von Fernsehen, Zeitungen und Nachrichten – sogar die Euro-Einführung und Grenzöffnung in Europa verpasst. Der Währungswechsel wurde ihm erst bewusst, als er beim Alkoholkauf im Supermarkt sein erstes Wechselgeld in Euro erhalten hat.

So traurig die Geschichte seines Abstiegs und des Lebens auf der Straße auch war, so inspirierend war sein Weg aus der Sucht. Da ihm die soziale Ächtung sehr zu schaffen machte, hat er eines Tages entschieden, den erneuten Entzug (es war etwa sein 50. Versuch) durchzuhalten. Dabei geholfen hat ihm auch, dass er an einem Uni-Projekt teilnehmen konnte, welches Menschen mittels Führungen einen tieferen Einblick in das Leben der Obdachlosen geben wollte. Noch 17 Jahre später sind auch wir in den Genuss eines solchen Streifzugs gekommen.

Auf die Frage hin, ob man als Passant obdachlose Menschen unterstützen kann oder ihnen Geld geben sollte, sagte er, dass Obdachlosigkeit immer etwas mit Sucht zu tun habe und sich die Betroffenen nur selbst helfen könnten. Wenn man Geld gibt, sollte man sich bewusst sein, dass es zur Befriedigung der Sucht eingesetzt wird. Obdachlose kommen über staatliche Angebote immer an ausreichend Essen, daher benötigen sie keine Lebensmittel (was man gemeinhin versucht ist zu geben, damit das Geld nicht für Alkohol ausgegeben wird). Daher wäre es auch okay, nichts zu geben und weiterzugehen. Allerdings kann man mit einer Spende dazu beitragen, dass einige Obdachlose weniger stehlen, um ihre Sucht zu befriedigen. Nach diesem beeindruckenden Lebensbericht hat sich unsere Sicht auf diese oft mit Vorurteilen und Ablehnung verbundene Seite Frankfurts definitiv geändert. Positiv gestimmt haben wir dann den Abend in der Frankfurter Kultkneipe „Mutter Ernst“ bei Würstchen, Eiern, grüner Soße und Kartoffelsalat und natürlich mit guten Gesprächen ausklingen lassen. Wir freuen uns schon aufs nächste Wiedersehen!

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Ansprechpartner:

Nicole Schuh