„Noise“ – Buchrezension

Noise: Wie würde Daniel Kahnemann unseren Science Slam bewerten? 

Am 26.11 fand der erste Science Slam der Bank-Verbindung statt - ein sehr gelungenes Event. Wie in Science Slams üblich durften sechs Personen aus dem Publikum die Vorträge der drei Slammerinnen bewerten und Punkte zwischen 1-10 vergeben. Die naive Annahme wäre, dass alle sechs Personen immer die gleiche Punktzahl vergeben, da jeder den gleichen Vortrag gesehen hat und diesen Vortrag dementsprechend anhand der vorgegebenen Skala gleich bewerten wird und somit jeder Vortrag nach dem theoretischen Erwartungswert bepunktet wird. 

Wie erwartet, war diese nicht der Fall und die Bewertungen wichen zum Teil um bis zu 3 Punkte ab, was unterschiedlichste Hypothesen zulässt, z.B. eine Person bewertete Humor wichtiger als den fachlichen Inhalt oder eine andere Person hatte generell einen anderen Bewertungsmaßstab und bewertet zum Beispiel alle Vorträge besser. 

Genau mit dem Phänomen, dass individuelle Entscheidungen / Urteile stark divergierend sind, beschäftigt sich Daniel Kahnemann mit seine Co-Autoren Oliver Sibony und Cass R. Sunstein im Buch „Noise“. 

Im Gegensatz zu unserem Science Slam erwähnen die Autoren aber Umgebungen in denen Noise deutlich besorgniserregender ist, z.B. sind Richter montags tendenziell gnädiger, wenn sonntags zuvor ihr Football Team gewonnen haben oder aber Fingerabdrucksforensiker bewerten denselben Fingerabdruck zum Teil anders wenn ihnen dieser ein zweites Mal vorgelegt wird. Dementsprechend ist es erschreckend, wie das subjektive Urteil welches zum Teil von irrelevanten Marginalitäten beeinflusst wird, sich auf die Freiheit von Verdächtigen / Angeklagten auswirken kann. 

Was ist Noise? 

Prinzipiell wird in drei unterschiedliche Arten von Noise unterschieden: 

Level Noise

Level Noise beschreibt die unterschiedliche Bewertungsbasis. Um beim Science Slam zu bleiben, gibt es eventuell Bewerter, die für einen subjektiv schlechteren Vortrag immer noch 5 Punkte geben würden und jemand anderes würde für ein gleich wahrgenommen Vortrag 1 Punkt geben. Für die Richter bedeutet das, dass es bei ein und demselben Fall harter Richter gibt, die tendenziell eher das Höchststrafmaß anlegen und anderen Richter die eher das Mindeststrafmaß anlegen. 

Pattern Noise

Pattern Noise sind unterschiedliche persönliche Vorurteile oder Bewertungen (Bias). D.h. eine Person bewertet zum Beispiel humoristische Vorträge immer besser. Bei Richtern kann das bedeutet, dass zum Beispiel ein Richter gewisse Minderheiten eher mit Höchststrafe verurteilt und ein anderer Richter dafür Wiederholungstäter überhart verurteilt. 

Occasion Noise

Unter Occasion Noise werden die Einflüsse durch äußere Umstände beschrieben. Zum Beispiel, dass Leistungen oder Personen z.B. wohlwollender bewertet werden, wenn der lokale Sportverein gewinnt, wenn man frisch verliebt ist oder ob man gerade ein sättigendes Mittagessen hatte. 

Warum ist das für uns in der Finanzbranche relevant? 

Für uns ist Noise ebenfalls relevant und kostet Banken und Versicherungen entweder Geld oder erhöht das Risikoprofil: 

  • Underwriting Prämien im individualisierten Versicherungsgeschäft: Hier gibt es einen Underwriter der das Risiko bewertet. Wenn die Underwriting Prämie zu niedrig ist, also das Risiko unter dem Erwartungswert bewertet wird, decken die Einnahmen nicht vollständig die Risikokosten. Wenn das Risiko zu hoch bepreist wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Kunde zu einem Marktbegleiter wechselt, der eine kompetitiveres Angebot offerieren kann. 
  • Kreditzinsen: Hier ist es ein ähnliches Phänomen zur Underwriting Prämie. Unterschätze ich das Risiko, kann ich einen günstigen Zins anbieten aber wiederum die Risikokosten nicht decken, überschätze ich das Risiko kann der Kunde wiederum abwandern.
  • Operationelles Risiko / Compliance
    Bei Geldwäsche Verstößen muss ein Compliance Sachbearbeiter entscheiden, ob ein Verdacht besteht und ob Maßnahmen eingeleitet werden müssen oder ob eine Transaktion unverdächtig ist. Dementsprechend kann hier Noise auch zu false Positives oder false Negatives führen, was das regulatorische Risko erhöht. 

Wie kann Noise reduziert werden

Die Autoren haben nicht nur das Problem von Noise sehr genau beschrieben, sondern auch potentielle Lösungsmöglichkeiten genannt, u.a.: 

  • Noise-Audits: Hier wird eine Bestandsaufnahme durchgeführt, um überhaupt erst das Ausmaß und die entsprechenden finanziellen Auswirkungen zu bewerten und zu quantifizieren. 
  • Entscheidungshygiene: Hier werde klare Prozessschritte definiert, wie eine Entscheidungsfindung herbeigeführt wird, um damit bestmöglich alle Faktoren zu berücksichtigen und Occasion Noise auszuschließen. 
  • Klare Definition der Bewertungsskala: Eine klare Definition, mit Beispielen für gewisse Wertungen hilft, dass alle die Bewertungsskala identisch verstehen und damit Level Noise soweit wie möglich reduzieren. 

Was ist mein Fazit? 

Insgesamt fand ich es ein sehr empfehlenswertes Buch, da es ein spannendes noch unterrepräsentiertes Thema berücksichtig. Allerdings ist es im klassischen Schreibstil von Daniel Kahnemann verfasst, der nicht immer punktiert und teils ausschweifend ist. 

Pascal Stephan

metergrid GmbH, Stuttgart
Sales- und Projektmanager
DHBW Stuttgart 2015

Mehr von Pascal Stephan

Veranstaltungen | 15. Oktober 2017

Regional ... Treffen - Weinwanderung

Dieser Weg wird weinig und schwer!

weiterlesen