Fachartikel | 29. März 2021
„New Work“ - Frischer Wind für die Finanzindustrie, oder die Rückbesinnung auf Kernwerte?
Ein Impuls von Dr. Christian Rauscher, Manuel Knopf und Stephan Vomhoff
Zugegeben, das Thema „New Work“ ist nicht neu. Schon seit gut 50 Jahren trommelt Prof. Frithjof Bergmann für eine neue Art der Arbeit, eben für „New Work“. Jedoch sieht er heute einen historischen Moment, in dem sich vieles entscheiden kann und wird. Gelingt es, dass wir das, was wir unter „Arbeit“ verstehen, dass, wie wir „Arbeit“ gestalten und bewerten, nachhaltig zu wandeln? Gelingt es Europa in die Initiative zu gehen oder werden eher asiatische Länder, allen voran China, eine neue Form des Arbeits- und Erwerbslebens entwickeln?
Aber denken wir nicht nur in geografischen Dimensionen. Welche Branchen bleiben/werden hierzulande
- attraktiv für junge Talente;
- relevant für Kunden;
- und schaffen interne Arbeitsstrukturen, die das Hervorbringen neuer Geschäftsfelder
ermöglichen?
Machen Sie einen Selbstcheck. Was meinen Sie, wie gut schneidet Ihre Bank oder Sparkasse bei den oben genannten Punkten ab? Wie ist die ganze Branche aufgestellt? Hand aufs Herz: Wenn die Selbsteinschätzung nicht so rosig ausfällt, liegt es bestimmt nicht nur am regulatorischen Umfeld. Doch wo anpacken? New Work thematisiert eine Vielzahl konkreter Ansatzmöglichkeiten.
Was verstehen wir unter dem feschen Buzzword „New Work“, und warum sollten sich ausgerechnet regionale Banken damit auseinandersetzen?
New Work ist sehr viel mehr ist als nur eine moderne oder flexible Form der Büroarbeit.
New Work ist ein Paradigmenwechsel. Es ist nicht der Einsatz von ein paar Tools, sondern es ist eine völlig neue Denkweise, Arbeit zu leben, zu denken und zu formen. In den Worten von Bergmann:
„… New Work is simply the attempt to allow people, for at least some of their time, to do something they passionately want to do, something they deeply believe in.“
Bergmann ist – so wie wir übrigens auch – überzeugt davon, dass man das tun sollte, was man wirklich will. Nur dann bringt man sich vollinhaltlich ein, ist bereit sich zu reflektieren, sprüht vor Energie und Kreativität, oder anders formuliert: lebt man ein bewusstes Leben.
Hier zeigt sich deutlich die Nähe zu den Werten und Prinzipien regionaler Banken: Die Sparkassen sprechen in ihrem Leitbild von „Verantwortung für Menschen“ und „fairer Partnerschaft und barrierefreiem Zugang“. Die VR Banken formulieren. „Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. Wir machen den Weg frei.“ Vergessen wir dabei nicht, dass Mitarbeiter die Boten dieser Message hin zum Kunden sind. Wie wahrscheinlich ist es nun, dass Personal, dessen Arbeitsalltag von Zwängen wie Hierarchie, Dienstanweisungen, Revisionen und ggf. falsch interpretiertes (K)Controlling bestimmt ist, diese Werte authentisch lebt, ganz zu schweigen vom intrinsischen Brennen für den ausgeübten Job. Apropos, wann haben Sie zum letzten Mal die Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiter erhoben?
Außerdem: Laut Bergmann kennzeichnen SELBSTÄNDIGKEIT, FREIHEIT und TEILHABE AN DER GESELLSCHAFT New Work. Nicht zuletzt ist Teilhabe an der Gesellschaft im Sinne von Gemeinschaft eines der Grundprinzipien von Genossenschaftsbanken. Bei Analysen die emotion banking® für Finanzinstitute durchführt, zeigt sich immer wieder wie wichtig das „Teil sein der Gemeinschaft“ ein Motivationsfaktor ist, um nicht nur Kunde, sondern ggf. auch Mitglied der Bank zu sein.
Man kann sagen, New Work steckt in der DNA vieler regionaler Banken. Aber wird dieses Asset tatsächlich genutzt?
NEU ERFINDEN
Auch wir reden gerne von der VUCA-Welt. Kaum jemand kann sich diesen Eindrücken entziehen, dass alles volatiler, unsicherer, complexer und widersprüchlicher geworden ist. Aktuell vielleicht sogar so wild, dass wir von Super-VUCA sprechen (oder VUCA 2.0). Die Konsequenz: Top down läuft heiß. Strategiezentrierte Organisationen zerbrechen am Steuerungsaufwand. Menschliche Routine verliert Wert, das macht maximal besser der Computer. Erfolg entsteht in den Nischen und Freiräumen, meist ungeplant und dezentral. Erfolg entsteht, indem freie Menschen ihr Bestes geben. Dienstanweisungen sind dafür schleichendes Gift. Wie meinte Gary Hamel so provokant: „Dream, create, explore, invent, pioneer, imagine – do these words describe what you do? If not, you are already irrelevant, and your organization is probably becoming so.”
Einfach starten, denn es gibt viel zu tun
Die Veränderungen finden gleichzeitig auf unterschiedlichen Ebenen statt. Es geht um viel mehr, als seinen MitarbeiterInnen Home Office zu ermöglichen. Es geht vor allem darum, den MitarbeiterInnen die Möglichkeit zu geben, Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig darum, dass diese Verantwortung angenommen wird. Unternehmen sind mehr denn je gefordert mit ihren MitarbeiterInnen Möglichkeiten zu eröffnen, sich zu entfalten und zu entwickeln und so ein produktives Arbeitsumfeld zu schaffen.
Daneben finden sich aber natürlich auch Themen der Führung. Alt bewährte Kontroll-Mechanismen, welche v.a. physische Präsenz am Arbeitsplatz beinhalten, fallen weg und weichen neuen Führungsparadigmen. Nicht umsonst wird seit Jahren das Konzept der „dienenden Führung“ als Alternative bzw. Ergänzung zum heroisierenden Leadershipansatz promotet. Anstelle des IQ sollten wir den WeQ und damit eine „Gemeinwohl-Intelligenz“ reflektieren. Schaffen wir ein Umfeld, in dem Teams die eigentlichen Stars und Helden sind?
Grafik: Welche Eigenschaften charakterisieren Ihre Unternehmenskultur? Nach Westrum, Typology of Cultures, 2004
Es geht aber auch um die Ausrichtung des Unternehmens auf Kundenbedürfnisse. Diese verändern sich analog zum Arbeitsumfeld vor allem in Krisenzeiten radikal. So zeigt eine im Juni 2020 durchgeführte Studie von emotion banking®, dass 98% der befragten ÖsterreicherInnen ihr Einkaufsverhalten verändert haben und 2/3 vorhaben, diese Veränderungen auch beizubehalten. Vergleichbare Untersuchungen liegen auch für Deutschland vor.
Freiräume schaffen
Welche konkreten Maßnahmen können gesetzt werden, um die Gedanken von New Work verstärkt zu integrieren?
Wagen wir hierzu einen Blick über die Grenzen der Branche hinweg. Hin zum Silicon Valley. Genauer gesagt zu Google. Ein innovatives Unternehmen, für das nur allzu gern ein Großteil der nächsten Generation an High Potentials arbeiten möchte. Viel beachtet wurde die 80/20 policy, die es Angestellten erlaubte, 20% der Arbeitszeit für selbst gewählte Projekte einzubringen, von denen das Unternehmen profitiert.
Auch wenn Google nicht für geregelte Arbeitszeiten bekannt ist, und kritische Stimmen meinen, aus 80/20 wurden in Realität 120% der Arbeitszeit, darf nicht der Wert dieses kreativen Freiraums unterschätzt werden. Hervor kamen einige der bekanntesten Funktionalitäten, beispielsweise Gmail.
Auch hier gilt beim Übertragen auf die eigene Bank: „Klein“ starten, aber konsequent umsetzen. Beispielsweise: Den Mitarbeitern einen Tag pro Monat zur Verfügung stellen, um an selbst gewählten Projekten, die Relevanz für die Bank haben, allein oder in Teams zu arbeiten. Die Ergebnisse können freiwillig am Jahresende präsentiert werden. Reservieren Sie doch die erste Stunde der alljährlichen Weihnachtsfeier für die Ideenpräsentation. Wichtig ist, den kreativen Freiraum allen Mitarbeitern zu gewähren. Andernfalls kann es zu einer ungewollten Spaltung zwischen Betrieb- und Vertrieb kommen. Insbesondere Frontmitarbeiter haben durch die tägliche Arbeit ein gutes Gespür, was KundInnen benötigen. Im Idealfall wird ein eigens eingerichteter Kreativ-Raum zur Verfügung gestellt, damit es nicht an White-Boards, Klebezetteln mangelt.
Arbeiten cross-funktionale Teams zusammen, wird das Verständnis für andere Bereiche sowie die Kreativität gefördert, und Kollegen näher kennen gelernt. Sogenannte Design Sprints bieten den Rahmen dafür. Der Vorteil gegenüber Brainstorming liegt darin, dass am Ende des Sprints (fix definierter Zeitrahmen, üblicherweise 1-5 Tage) ein konkretes Ergebnis vorliegen soll.
Prinzipiell werden Design Sprints mit einem Ziel definiert, können aber auch thematisch offen sein. Wie die Teilnehmer der abteilungsübergreifenden Teams das Ziel erreichen möchten, steht ihnen frei. Welche Ziele können Sie vorgeben? Da es Kundengruppen gibt, die nur über ausufernde juristisch formulierte Post Kontakt mit der Hausbank haben, kann diese Problemstelle angepackt werden: „Wie können Briefe kundenfreundlicher formuliert werden“. Praktisch überarbeiten Teams bestehende Schreiben, oder erstellen neue. Sei es eine einfache Erklärung, warum bei uns die Gebühren höher sind als bei Direktbanken. Das kann Beschwerdemeldungen vermeiden, die im Gegenzug eine Verringerung von unangenehmer Arbeit ermöglicht.
Klar und bewusst wandeln
Aber Vorsicht! Eric Schmidt, der ehemalige CEO von Google, meinte in einem Interview, dass seine härteste Lektion im Leben die gewesen wäre, mit den richtigen Menschen ein eigenverantwortliches Unternehmensumfeld aufzubauen. Das ist ein permanenter Prozess der Diskussion, Selektion und kritischer Feedbacks, die weh tun.
Wichtig ist somit am Start sich zu fragen, inwieweit Elemente von New Work bereits vorhanden sind und wo es mögliche gute Anknüpfungspunkte für neue Muster und Möglichkeiten gibt. Dabei geht es nicht um das Erheben, welche agilen Arbeitsmethoden (Design Thinking, Scrum etc.), in welchen Bereichen Ihres Unternehmens angewendet werden oder welche Erfahrungen Ihre MitarbeiterInnen mit diesen bisher gemacht haben, sondern es geht auch darum, mögliche Barrieren zu identifizieren, welche es den MitarbeiterInnen unmöglich machen, Verantwortung zu übernehmen und in der Folge eine tiefe, innere Motivation zu entwickeln. Zudem sollten Sie sich fragen, ob die Vision, die Sie in Ihrem Unternehmen verfolgen, von Ihren Mitarbeitern gehört, gelebt und nach außen getragen wird.
Stellen Sie die Führungs- und Mitarbeitersicht gegenüber und entdecken Sie Wünsche, Chancen und Möglichkeiten, um gemeinsam mit Ihren MitarbeiterInnen zu wachsen und Ansatzpunkte für neue Arbeitsweisen zu finden. Das wünschen wir Ihnen für 2021 von ganzem Herzen; die Zeit ist reif.
Baden bei Wien/Göppingen, im Januar 2021
Dr. Christian Rauscher, emotion banking Gmbh
Manuel Knopf, emotion banking GmbH
Stephan Vomhoff; Stephan Vomhoff und Kollegen: info@stephan-vomhoff.de