Zwischen Tradition und Moderne – Banking im Land der Tausend Hügel

“Sie werden das Team der Sparkassenstiftung in der Beratung der ruandischen Partner bei dem Zusammenschluss kleiner Spar- und Kreditgenossenschaften zu größeren Einheiten und bei dem Aufbau einer Girozentrale unterstützen“. Freudestrahlend erhielt ich Ende 2018 die Zusage, die Stelle als „Head of Program“ bei der Sparkassenstiftung für internationale Kooperation e.V. in Ruanda antreten zu können. Im August 2019 war es dann endlich soweit: Bei meinem bisherigen Arbeitgeber Horvath & Partners habe ich mich freistellen lassen, die Koffer waren gepackt und es ging los ins Neue und Ungewisse. Nun bin ich schon seit knapp eineinhalb Jahren in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, dem Land der Tausend Hügel. Gemeinsam mit meinem Team – bestehend aus drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sind wir tief eingetaucht ins Projekt der „SACCO Professionalisierung“.

SACCOs (Savings- und Credit Cooperatives) sind genossenschaftlich organisierte Mikrofinanzinstitute, die 2008 von der ruandischen Regierung initiiert wurden, um die finanzielle Inklusion in jedem Sektor des Landes zu erhöhen. Es gibt 416 solcher SACCOs sowohl in Städten als auch in den entlegensten Gegenden, wohin selbst der beste Geländewagen über mehrere Stunden Höchstleistungen erbringen muss. Die Produktauswahl dieser Spar- und Kreditgenossenschaften ist in den meisten Fällen sehr eingeschränkt. Oft gibt es in den SACCOs nur ein Sparprodukt (vergleichbar mit dem traditionellen Sparbuch) und ein Kreditprodukt.

Gespart wird sehr häufig im Euro Cent-Bereich, denn der Grossteil der ländlichen Bevölkerung lebt von der Substistenzwirtschaft mit kleinen Erträgen. Wenn eine Kundin kontinuierlich umgerechnet 1 Euro pro Monat spart, gehört sie in den meisten SACCOs zu jenen, die beim jährlichen Weltspartag als „Sparerin des Jahres“ gekürt werden. Kredite werden ebenfalls zu Kleinstbeträgen gewährt und meist an die Landwirtinnen und Landwirte vergeben, um Saatgut zu kaufen. Der endfällige Kredit wird dann mit dem Verkauf der Ernte zurückgezahlt. Wenn die Regenzeit so stark ausfällt wie in diesem Frühjahr, dann besteht nicht nur für die Bauern das Risiko eines totalen Ernteausfalls, sondern für die Banken auch ein hohes Kreditausfallrisiko. Das sieht man an der Kreditausfallrate der SACCOs, die mit knapp 11% im Jahr 2019 weit über dem nationalen Durchschnitt von 4.5% lag. Durch COVID-19 wurde die NPL-Ratio in diesem Jahr nochmals wesentlich nach oben getrieben: Von einigen SACCOs wurden mehr als 30% der Kredite als notleidend gemeldet.

Da die SACCOs meist vollständig in manuellen Systemen arbeiten, können die gemeldeten Zahlen von der Realität abweichen.

Manuelles System heißt: keine Computer und keine Software in den SACCOs. Alle Transaktionen werden händisch auf den „Member cards“, in den Sachkonten und im Hauptbuch notiert. Zinsberechnung, Gebühren, Abschreibungen etc. werden für alle Geschäftsvorfälle mit dem Taschenrechner ermittelt und ebenfalls händisch festgehalten. Fehlendes Know-how, unleserliche Schreibweise und falsche Berechnungen, aber auch die Möglichkeit zum Betrug sind seit Jahren große Herausforderungen, die sich der SACCO Sektor stellen muss. Die Automatisierung der SACCOs, d.h. die Ausstattung mit einer einfachen Kernbankensoftware, ist daher ein großer Teilbereich des Professionalisierungsprojektes der ruandischen Regierung. Eine einfache Kernbankensoftware wurde bereits entwickelt und in den ersten drei SACCOs pilotiert.

Membercard auf der alle Daten und Transaktionen des Kunden eingetragen werden

Die große Herausforderung bei der Automatisierung ist es, die finanzielle Lage der SACCOs zu verifizieren und damit eine saubere Datengrundlage zu schaffen. Im sogenannten „Data Cleaning und Due Diligence“ wird der Saldo jedes einzelnen Spar- und Kreditkontos der knapp 3 Mio. Kundinnen und Kunden sowie jede Bilanz und GuV Position im Detail überprüft. Ebenfalls im Rahmen des Data Cleaning und Due Diligence müssen Millionen von Kundeninformationen eingeholt werden. Denn obwohl die Nationalbank mehr als 70 Informationsfelder als verpflichtend definiert hat (zum Beispiel Name, Adresse, Geburtstdatum bis hin zu Beruf, Ausbildung und Einkommens- und Besitzverhältnissen), haben die meisten SACCOs nicht viel mehr an Kundeninformationen als Vor- und Nachname, Geburtsjahr und eine Telefonnummer. Die Sparkassenstiftung unterstützt das „Data Cleaning und Due Dilligence“ beispielweise mit der Erarbeitung von Vorlagen und Richtlinien, die es ermöglichen sollen, die Daten möglichst einfach zu erheben. Zusätzlich unterstützt die Sparkassenstiftung die Ausbildung von mehr als 200 externen Expertinnen und Experten, welche die SACCOs beim Prozess der Kundendatenerhebung begleiten sollen.

Finanzsektor in Ruanda
Ruanda unterteilt seinen Finanzsektor in 16 Geschäftsbanken (mit einem Marktanteil gemessen an den „Total Assets“ von 66%), 13 Pensionskassen (18%), 16 Versicherungen (10%) und 459 Mikrofinanzinstitute (6%). Im Jahr 2019 betrug das Asset Wachstum über den gesamten Finanzsektor hinweg knapp über 13%. Der Anteil des Kreditgeschäfts beträgt dabei im Durchschnitt 58%, auf Staatspapiere entfallen 16%, 12% auf Anleihen von anderen Finanzinstituten und Unternehmen. 9% wird als kurzfristige Liquidität in Cash oder bei der Nationalbank gehalten. Die Refinzanzierung erfolgt zu 80% über kurzfristige Verbindlichkeiten unter einem Jahr (meist Kundeneinlagen). Die ruandische Nationalbank wagt trotz gestiegenem Abzug von Einlagen in Banken und gestiegener NPL-Ratios einen positiven Ausblick für den Finanzsektor im Jahr 2021. Im kommenden Jahr ist der Fokus insbesondere auf das Thema Regulatorik gerichtet. Seit Jahren orientiert man sich stark an bestehenden internationalen Regularien. Das sieht man allein an der Vielzahl der Veröffentlichungen, die Banken und Mikrofinanzinstitute zu berücksichtigen haben, wie beispielsweise die monatliche Berechnung und Meldung der LCR und NSFR für Geschäftsbanken. Selbst Mikrofinanzinstitute müssen täglich und monatlich ihre Geschäftsdaten in mehr als 250 Einzelkennzahlen an die Nationalbank übermitteln. Im Fokus für 2021 stehen das Internal Capital Adequacy Assessment (ICAA) und das Internal Liquidity Adequacy Assessment (ILAA).

Nach der Automatisierung steht die Konsolidierung der bisher 416 eigenständigen SACCOs zu 30 größeren Einheiten auf Distrikts-Ebene an. Hier wird die Sparkassenstiftung nicht nur in die Erarbeitung der Business Pläne für diese involviert sein, sondern gemeinsam mit den SACCOs die internen Prozesse neu definieren, Organisationsstrukturen aufbauen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rekrutieren.

Mit der Automatisierung und der Konsolidierung bleiben die Themengebiete der Sparkassenstiftung im SACCO Projekt sehr spannend und vielfältig. Die hohen Ambitionen des Projektes, und immer neu auftauchende Herausforderungen führen häufig dazu, dass Prioritäten verschoben werden oder spontan umgeplant wird. Flexibilität ist gefragt, wenn manches, das bereits ausgearbeitet wurde, abgeändert oder eine hochkarätig besetzte Konferenz innerhalb von 24 Stunden organisiert und durchgeführt werden muss. Wir im Team der Sparkassenstiftung sind dann immer wieder fasziniert, wie viel in kurzer Zeit zu erreichen ist – gemäss dem Motto „Geht nicht, gibts nicht“. Und wenn es nicht wie geplant stattfinden kann, dann wird es eben anders gemacht.

Das Motto, dass es immer einen Weg gibt, zeigt sich auch im großen Fortschritt, den Ruanda seit dem Genozid im Jahr 1994 gemacht hat. Ein Grossteil der Bevölkerung ist krankenversichert, alle Kinder haben die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Das Land gilt als eines des saubersten und sichersten Afrikas und ist, wenn es um Innovationen geht, meist vorne mit dabei. Das sieht man beispielsweise darin, dass man fast überall mit dem Handy und „Mobile Money“ bezahlen kann: auf dem Markt, beim Parken in Restaurants, aber auch Gebühren für sämtliche behördliche Unterlagen. Während der COVID-Zeit wurden Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern teilweise von Robotern versorgt. Das neue Kigali International Financial Centre (KIFC) soll Ruanda zum Finanzplatz Afrikas machen.

Trotz dieser schnellen Fortschritte ist eine Vielzahl der Familien in ländlichen Gebieten nicht an das Stromnetz und kommunale Wasserversorgung angeschlossen. Und im Schnitt ist die nächste SACCO- oder Bankfiliale auf dem Land immer noch mehr als 30 Gehminuten entfernt.

Zusammenfassend kann ich daher nur sagen: Es gibt viel Potenzial und viel zu tun hier, und ich freue mich jeden Tag über die spannenden Herausforderungen in meinem Job im Land der Tausend Hügel.

Die Sparkassenstiftung im Einsatz im Rahmen vom Weltspartag
Besuch eines SACCOs in Muganza nahe der burundischen Grenze

Regina Rieger

Head of Program SACCO Professionalization
Sparkassenstiftung für Internationale Kooperatione.V., Kigali (Ruanda)
DHBW Mannheim 2007